Out am Arbeitsplatz — Ein ewiger Eiertanz

Über das Thema „Out am Arbeitsplatz“ habe ich schon öfter geblogt. Nun, mit Mitte 50 – ein Alter, in dem der Schwabe entweder schon weise geworden ist, oder den Gedanken an Erleuchtung längst aufgegeben hat, möchte ich an die verschiedenen Stationen zurückdenken, und mir ein paar entscheidende Ereignisse nochmals vor Augen führen.

Mein spätes Coming Out

Mein Coming-out hatte ich spät – mit 27. Wenn ich es bedenke: Aus jetziger Sicht ist das mein halbes Leben her! Dafür umso heftiger und auch öffentlicher. Was noch erstaunlicher ist, wenn man weiß, wie extrem introvertiert ich bin. Aber was sich so lange aufstaut, muss dann wohl irgendwann mit Macht raus.

Ich war an der Uni in Trier, schrieb an meiner Doktorarbeit, was mit sich den Luxus brachte, keine festen Termine zu haben, und mich auch mal eine Woche lang nur mit mir selbst beschäftigen zu können.

Aber diese Zeit ging 1996 zu Ende, und es sollte mit der ersten Arbeitsstelle einmal mehr der Ernst des Lebens  beginnen.

Coming-Out am ersten Arbeitsplatz

Meine erste Anstellung führte mich 1996 von der Mosel an den Rhein – ins schöne, gemütliche Bonn. Bei einem Software-Lokalisierer sollte ich für die Einführung maschinengestützter Übersetzungs-Software verantwortlich sein. Ich teilte das Büro mit dem etwas jüngeren Terminologen, und natürlich gingen wir in der ersten Woche auch zusammen in die Kantine.

Es muss bereits am zweiten oder dritten Tag gewesen sein, als er mich beim Essen fragte, da ich ja nun aus Trier nach Bonn gezogen sei, ob ich in Trier eine Freundin hätte… Ich hatte die Zeit, die ich zum Kauen und Runterschlucken benötigte zur Verfügung, um eine fundamentale Entscheidung zu treffen:

Outen oder zurück in den Kleiderschrank?

Meine Antwort war: „Um genau zu sein: einen Freund!“ Und damit war das Thema gegessen. Seltsamerweise! Denn es wurde viel und gerne getratscht, in dieser Firma. Ein halbes Jahr später fuhr ich mit einer Kollegin zu einer Projektbesprechung nach Brüssel, und sie war eher eine von der neugierigen Sorte, und bohrte auch bald in die Richtung. Natürlich outete ich mich, und fortan war das unser offenes Geheimnis. Wir verstanden uns gut, und klebten deshalb während der Arbeit oft zusammen, trafen uns auch mal außerhalb. Was zur komischen Folge hatte, dass in der Kaffeeküche getratscht wurde Anja und ich hätten was miteinander! Und wir bekamen es natürlich mit, und machten uns fortan einen Spaß daraus, die KollegInnen in die Irre zu führen!

Bis dann im heißen Sommer einige Leute beschlossen, in der Mittagspause ins Schwimmbad zu gehen. Ich war dabei, und zum Erstaunen vor allem der Kolleginnen erblickte mein Brustwarzen-Piercing die Sonne des Bonner Sommers. Es muss ganz schön hin und her gegangen sein in den Köpfen, denn Tattoos und Piercings waren Ende der 90er noch weit davon entfernt, in der Hetero-Mehrheitsgesellschaft angekommen zu sein, und damit ein untrügliches Zeichen für mein „Anderssein“.

Ausgerechnet am darauf folgenden Samstag heiratete eine Kollegin, und ein paar andere Kolleginnen – so auch Anja – waren dort. Und da wurden dann getratscht! Es war mir ehrlich gesagt ein völliges Rätsel wie so viele Leute so lange auf die Idee kommen konnten, ich sei nicht schwul!

Coming-Out am zweiten Arbeitsplatz

Nach zweieinhalb Jahren musste ich beruflich weg aus Bonn, und fand einen sehr viel besseren, wenn auch etwas stressigeren Arbeitsplatz in Stuttgart, bei dem kleinen Softwareanbieter, dessen Softwareprodukte ich in Bonn eingeführt hatte. Es war ein kleines „start-up“, mit jungen, dynamischen Leuten, die gewiss keine Problem mit dem Thema haben würden. Außerdem teilte ich mein Büro mit einem Kollegen, den ich aus Studienzeiten kannte, und der bei meiner Abschiedsfeier in Trier – im LGBT*-Zentrum SchMIT-Z anwesend war. Ich war also quasi schon geoutet. Bei den restlichen Kollegen musste ich mich dann outen, als ich während der Probezeit ein paar Tage Urlaub brauchte, weil mein damaliger Partner im Sterben lag, und ich aus ihm nicht „meine Oma“ machen wollte.

In der Firma gabs keine Probleme, allerdings hatte ich häufig Kundenkontakt – hielt vor allem Schulungen, und da erinnere ich mich an ein offizielles Mittagessen mit einem Kunden, der irgend etwas Homophobes von sich gab. Aber da er nicht „mein“ Kunde war, und ich deshalb nicht regelmäßig mit ihm zu tun hatte, hab ich’s runtergeschluckt und bin drüber hinweg gegangen …

Coming-Out am dritten Arbeitsplatz

Ziemlich Hals über Kopf begann ich im Frühjahr 2000 die Arbeit bei meinem dritten Arbeitgeber, bei dem ich immer noch bin. Ich hatte die Stellenausschreibung mehr oder weniger zufällig im Internet gefunden, und dachte: „Der Job ist wie für dich gemacht! Wenn du dich darauf nicht bewirbst, wirst du es dein Leben lang bereuen!“

In meiner spontanen Bewerbung hatte ich auch einen Link auf meine damalige Webseite gesetzt, und wer sich die Seite angeschaut hatte und nicht gerade auf einem anderen Planeten zu Hause war, musste auf Grund der zahlreichen Regenbogen-, Leder- und Bären-Symbole von meiner nicht heteronormativen Existenz ausgehen. Mein Schwulsein war dann auch nie ein Thema in der Abteilung.

Ich lernte bald andere Schwule, Lesben und später auch Transgender-Kollegen und Kolleginnen kennen. Wir trafen uns ab und zu zum Mittagessen. Und so beschlossen wir, uns locker zu organisieren.

Kurz zusammengefasst: Aus einem regelmäßigen Mittagessen entstand eine interne  HTML-Seite mit Links zur lokalen Community in Rhein-Neckar, die sie innerhalb der Firma wie ein Lauffeuer verbreitete, gefolgt von einer Präsenz im Intranet. Und – als Folge – Ärger für mich (dessen Name noch jahrelang als einziger im Corporate Portal auf den LGBT*-Seiten auftauchen sollte), da sich wenige  religiös motivierte Kolleg_innen durch unsere offizielle Existenz aus ihrer Komfortzone gezerrt fühlten.

Erst Jahre später erfuhr ich von einem „Ally“ mit Zugang zur Firmenleitung, wie hoch das Thema tatsächlich geblubbert war! Bis ganz nach oben!

Es kam zu einem Gespräch mit einem Vertreter von HR, bei dem  ich – nach allen Solidaritätsbekundungen meiner LGBT*-Kolleg_innen – dann doch alleine da stand. Man wollte im Prinzip einen „Business Case“ von mir: warum es für einen Arbeitgeber gut wäre, eine LGBT*-Gruppe zu haben, zu dulden – an „unterstützen“ dachte damals noch niemand! „Nichts leichter als das!“, könnte man aus heutiger Sicht meinen. Aber 2001 gab es zu diesem Thema NICHTS.

Wir haben es trotzdem versucht, mit dem Resultat, dass wir offiziell sichtbar bleiben durften, uns aber einen neuen Namen suchen mussten.  Und damit waren wir als „HomoSAPiens“ die erste „Employee Ressource Group“ in der Firma, und die zweite LGBT*-Gruppe in der deutsche Wirtschaft – die Rainbow Group der Deutschen Bank wurde schon ein Jahr früher gegründet.

Erst Jahre später wurde „Diversity Management“ zum offiziellen Thema, und wir wurden gefragt, ob wir als offizielle Mitarbeitergruppe mitmachen wollten. Was wir gerne taten. Dieses offizielle Engagement kostete allerdings viel Energie, und es gab in dieser Zeit auch etliche Momente, wo wir uns fragten, ob unser Einsatz auch tatsächlich Vorteile und Verbesserungen für den/die einzelne LGBT*-Kolleg_in bringen würde, oder es sich nur um „Corporate Window Dressing“ mit Regenbogenwölkchen handelte.

Mit 15 Jahren Abstand kann ich heute sagen: Ja, es hat sich gelohnt! Die Firmenkultur hat sich stark zu Gunsten von mehr Offenheit verändert. Die Auszeichnung als „LGBT*-freundlichster Arbeitgeber Deutschlands“ im gerade vergangenen Jahr war nicht zufällig, und geht weit über die Erfüllung formaler Kriterien hinaus.

Irgendwann benannten wir uns auf Wunsch und weltweiten Mehrheitsbeschluss in „Pride@SAP“.  Zum zehnjährigen Bestehen im Jahr 2011 gab es eine große, offizielle „Geburtstagsparty“ mit Podiumsdiskussion, Unterhaltungsprogramm und Finger Food. Das war der Zeitpunkt, zu dem ich mich aus der ersten Reihe zurück zog. Denn zum Glück gibt es neue, junge und motivierte Kolleg_innen, die die Regenbogenfahne weiter tragen!

Coming-Out am Arbeitsplatz — Ein ewiger Eiertanz

So erfreulich entspannt die Situation am Arbeitsplatz auch heute sein mag: Das Coming Out am Arbeitsplatz endet nie: Neuer Manager. Neue Kollegen. Naive Fragen „alter“ Kollegen, die einen bisher nicht näher kannten, … Es hört nicht auf, und manchmal nervt es. Auch die Frage „Wie ist das eigentlich bei euch…?!“, die meistens nett gemeint ist, aber letztendlich meist weiter in die Privatsphäre eindringt, als einem oft lieb ist.

Ein andere Frage, die sich uns in einem internationalen Unternehmen dauernd stellt, ist, wie neue Kollegen und Kolleginnen aus anderen, meist weniger LGBT*-freundlichen Kulturen stammend, mit uns umgehen, wenn wir uns outen. Ich hatte bisher das Glück, noch nie negative Erfahrungen machen zu müssen.

Karriere?

Kann und konnte man als geouteter Schwuler Karriere machen? Da ich selbst  lieber „glücklich“ als „erfolgreich“ bin, und mir jeder berufliche Ehrgeiz schon immer abging, ist diese Frage etwas hypothetisch. Trotzdem:

Vor 20 Jahren lautete die Antwort mit Sicherheit „Nein“, wobei es bestimmt vereinzelt Ausnahmen gab. Man sprach damals von der unsichtbaren „Glasdecke“, die auch für Schwule galt: Von gewissen höheren Positionen wurde stillschweigend erwartet, dass man ein präsentables Familienleben hatte. Ein paar schwule (und lesbische?) „Alpha-Tierchen“ der frühen Jahre konnten sich selbständig machen, als Berater im Diversity-Bereich. Aber eben nur außerhalb der Hierarchien.

Heute dagegen spielt das – zumindest an meinem Arbeitsplatz – keine so große Rolle mehr. Man kann auch als Schwuler oder Lesbe ziemlich ungestört die Karriereleiter hochkraxeln, wenn man das möchte. Die unsichtbare Glasdecke ist zumindest sehr viel höher eingezogen als noch vor zehn Jahren.

Und man kann natürlich heute als Angehörige_r der LGBT*-Minderheit Karriere  in speziell geschaffenen Diversity-Positionen großer Firmen und Organisationen machen. Ohne Groll, aber der Ironie der Veränderungen wohl bewusst, denke ich: Hätte man mir 2001 gesagt, es gäbe in der Zukunft Leute, die für das bezahlt werden, wofür wir gegen zum Teil großen Widerstand kämpfen, ich hätte ihnen ins Gesicht gelacht!

Homonormativität

Last but not least: Wieviel „deviance“ wird im Firmenumfeld akzeptiert? Wann ist man noch „der nette Schwule“, und wo endet die Toleranz?

Wer mich persönlich, oder aber auch nur vermittels meines Blogs oder auf Twitter kennt, weiß: Ich bin nicht der der nette Vorzeigeschwule, brav homoverehelicht, mit Gatte, Hund und Häuschen in der Vorstadt. Ich bin seit Jahrzehnten in der Leder- und Fetisch-Szene unterwegs, es gibt wenige Abgründe, in die ich nicht zumindest einmal einen vorsichtigen Blick geworfen hätte. Und ich stehe dazu. Und da dies zu mir genau so gehört wie mein Schwulsein an sich, fällt es mir auch schwer, das immer zu verstecken, auch wenn ich diese Aspekte im Firmenumfeld nicht öffentlich mache. Ich habe da bisher keinen goldenen Weg gefunden, aber ich kann damit ganz gut leben.

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